Fünfte Reise Tag 21: Linien ohne Ziel

Datum: 29. Mai 2025
Ort: Akureyri, Island
Der Tag verging langsam, als wäre er eine Zeichnung mit verwässerter Tinte. Ich ging den Hafenweg entlang, in meinen Mantel gehüllt, die Finger in meinen Handschuhen und mein Notizbuch fest an meine Rippen gedrückt. Der Fjord erstreckte sich ruhig neben mir – nicht still, sondern bedächtig. Kleine Wellen bewegten sich über seine Oberfläche. Sie sahen aus wie Gedankenlinien oder alter Stoff, der unter dem Licht atmete.
Boote bewegten sich im Wasser. Die roten Rümpfe der Boote waren rostig, und ihre Seile waren alt. Von Zeit zu Zeit knarrte ein Metallteil des Mastes. Der Geruch von Salz und Eisen lag in der Luft. Ich kam an einem Jungen vorbei, der Fahrrad fuhr, und an einer Frau, die Wäsche trug. Sie fügten sich so gut in den Hintergrund ein, dass sie wie Pinselstriche wirkten: fest, präzise, aber nicht auffällig.
Der Weg führte mich zum Botanischen Garten. Es ist noch nicht die Jahreszeit für Blumen, aber es gab einige grüne Triebe. Am Rand der Steine wächst Moos. Die Bäume sind kahl und beginnen gerade erst aufzutauen. Ich machte mir keine Notizen. Ich stand einfach da und schaute zu. Es ist die Art des Zuschauens, bei der sich der Körper entspannt und die Gedanken langsam kommen.
Ich dachte über Stille nach. Ich betrachtete sie nicht als Mangel, sondern als einen Zustand des Zuhörens. Ich hielt es nicht für notwendig, zu erklären, was ich hörte. Es reichte mir, einfach nur da zu sein, umgeben von der stillen Präsenz der Berge und des Wassers.
An diesem Abend saß ich am Fenster und aß Suppe. Es war Lamm mit Kräutern, heiß und dampfend. Ich machte mir ein paar Notizen auf einem Zettel, den ich fast vergessen hatte, dass ich ihn in meiner Tasche hatte. Ohne nachzudenken schrieb ich eine Zeile: Manchmal ist der Horizont gar keine Entfernung. Er ist ein ruhiger Ort, an dem man kein bestimmtes Ziel sehen kann.
Ich weiß noch nicht, was das bedeutet. Ich werde von dort aus malen.