Fünfte Reise, Tag 34: Wolle in der Luft

Datum: 11. Juni 2025
Ort: Tromsø, Norwegen
Heute Nachmittag bin ich auf einem gewundenen Pfad bergauf zum Prestvannet-See gewandert. Die Stadt leerte sich schnell. In einem Moment befand ich mich noch zwischen ruhigen Häusern mit gelben Wänden und spielzeugartigen Balkonen. Im nächsten Moment sah ich eine weite Aussicht auf Wasser, niedrige Hügel und die sanfte Stille der frühen Sommerschneeflecken auf höher gelegenem Gelände. Die Luft war leicht feucht, aber es regnete nicht, und es fühlte sich an, als würde sie sanft mein Gesicht berühren.
Der See war ruhig. Er ist nicht gefroren und es gibt keine Wellen – er ist einfach nur da. Ich stand lange Zeit da, ohne etwas zu sagen oder mich viel zu bewegen. Ich lauschte nur dem Rauschen des Windes in den niedrigen Kiefern und den gelegentlichen Schritten eines entfernten Spaziergängers. Die Stille war nicht leer. Sie klang wie angehaltener Atem – nicht ängstlich, sondern aufmerksam.
Über mir kreiste eine Möwe, flog tief und stieg dann wieder hoch, als wüsste sie nicht, was sie tun sollte. Ich beobachtete sie weiter, auch nachdem mir klar wurde, dass ich nicht mehr nachdachte. Diese Art von Pause ist selten. Sie tritt ein, wenn der Geist seine üblichen kleinen Aufgaben unterbricht und den Körper ruhen lässt.
Ich skizzierte mit einem trockenen Graphitstift auf dünnem Papier und zog lockere, breite Linien. Ich versuche nicht, die genaue Ansicht festzuhalten, sondern das Gefühl des Raumes – wie er sich an den Rändern sanft anzudrücken schien, wie das Licht die Formen zu verwischen schien.
Als ich den Weg hinunterging, kam ich an Kindern vorbei, die Wollmützen trugen. Sie lachten und spielten mit etwas Kleinem, wie einem Stein oder einem Käfer. Ich konnte ihre Worte nicht verstehen. Das war auch egal.
Als ich nach Hause kam, kochte ich mir eine Tasse Tee und stellte mich ans Fenster. Draußen ist es noch hell, obwohl die Uhr Nacht anzeigt. Die Stadt scheint den Atem anzuhalten – nicht in Erwartung, sondern in Präsenz. Das macht mich weicher.