Fünfte Reise Tag 50: Finger im Sandfall

Datum: 27. Juni 2025
Ort: Nida, Litauen
Heute Nachmittag bin ich über die Parnidis-Düne gewandert. Es fühlte sich eher wie Treibenlassen als wie Wandern an – eine Art lockere Bewegung, bei der die Landschaft sich weigerte, still zu stehen. Zunächst war der Sand hell und trocken, aber weiter hinten veränderte er sich. Er wurde schwerer, feiner und kühler, als würde er sich an Regen erinnern. Meine Schuhe nahmen ihn auf, und ich ließ sie gewähren.
Es wehte eine leichte Brise, aber sie war nicht zu stark. Sie drückte gegen meine Jacke und zerzauste die kleinen Haare neben meinem Ohr. Sie versetzte das Dünengras in einen leisen, gleichmäßigen Rhythmus. Es waren nicht viele Menschen da. Ein Radfahrer fuhr vorbei, ohne etwas zu sagen. Ein Paar ging vor mir her, ihre Schritte passten sich mühelos dem Gefälle an. Die Weite war nicht überwältigend, sie war einfach da, eine beständige Präsenz, die nichts von mir verlangte.
Ich machte mir keine Notizen. Ich dachte darüber nach, aber es gab nichts, was ich in Zeilen festhalten wollte. Stattdessen stand ich am Rand des Bergrückens und sah zu, wie der Sand nach und nach abrutschte. Man vergisst leicht, dass Stille nicht dasselbe ist wie Abwesenheit. Hier fühlte sie sich voll an – wie etwas, das sich um mich herum sammelte, anstatt sich zu entleeren.
Danach saß ich an der Lagune, wo das Wasser trüb und nicht besonders aufregend aussah. Ein Boot bewegte sich langsam, seine Form hob sich sanft vom grauen Wasser ab. Ich blieb, bis ich die Kälte in meinen Fingerspitzen spürte.
Heute denke ich über nichts besonders Aufregendes nach. Es war eine Art Stille, die sich im Körper ausbreitete, ohne dass sie mit Worten ausgedrückt werden musste. Sie erinnerte mich daran, dass es selten ist, sich ungebunden, aber nicht verloren zu fühlen.
Manchmal kommt die Kunst erst später. Heute ging es darum, offen für neue Erfahrungen zu sein.