Fünfte Reise Tag 55: Das Objekt, das er rollte

Datum: 2. Juli 2025
Ort: Lemberg, Ukraine
Als ich in Lemberg ankam, verspürte ich ein Gefühl der Leichtigkeit und Ruhe – eine Verlagerung von Aufregung hin zu Achtsamkeit für den Moment. Nachdem ich mein Gepäck abgegeben hatte, ließ ich mich von meinem Körper in das armenische Viertel führen, ohne etwas zu planen. Die Straßen dort wirken etwas seltsam, als wären sie eher aus Erinnerungen als aus Symmetrie entstanden. Die Wände neigen sich nach innen und die Fenster sehen anders aus. Es herrscht eine beruhigende Unordnung, die ich als angenehm empfinde.
Ich schlenderte ohne Plan umher. Auf einer Stufe war eine Kreidezeichnung eines Kindes zu sehen. Sie war ungleichmäßig und zeigte Sterne und eine rote Sonne. Es gab Schwärme von Tauben, die nicht in Panik, sondern in synchroner Zurückhaltung aufflog. Ich ging an einer offenen Tür vorbei und sah einen Mann, der allein darin saß und langsam einen kleinen Gegenstand in seinen Fingern drehte. Ich konnte nicht erkennen, was es war. Ich konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken.
In den Gassen war die Luft kühler. Irgendwo hinter einem halb zerbrochenen Holztor spielte jemand ein Saiteninstrument. Es war nicht poliert und wurde nicht für ein Publikum gespielt, es war einfach nur da. Der Klang vermischte sich mit dem Geräusch von Absätzen auf unebenem Stein und dem plötzlichen, hellen Lachen von jemandem, der um eine Ecke bog.
Ich machte mir keine Notizen. Ich schaute nur. Ich ließ das Gewicht der Vergangenheit in den Gebäuden zurück und ließ mich nicht davon bedrücken. Die Stadt muss nicht erklärt werden – sie offenbart sich einfach denen, die genau hinschauen. Ich fühlte mich seltsam frei.
Ich bin jetzt wieder in meinem Zimmer und habe die Pigmente bereitgestellt, aber ich habe sie noch nicht angerührt. Ich lasse die Eindrücke in meinem Kopf sacken. Vielleicht werden sie morgen zu etwas, das man sehen kann. Im Moment möchte ich einfach nur den Tag so festhalten, wie er war – nicht perfekt, aber dennoch gut.