Fünfte Reise, Tag 85: Drei Schleifen desselben Jungen

Datum: 1. August 2025
Ort: Samarkand, Usbekistan
Ich kam kurz nach dem Morgengrauen an, als das Licht noch sanft war, aber bereits stärker wurde. Samarkand empfing mich mit seinen farbenfrohen Gebäuden – türkisfarbenen Kuppeln, golddurchzogenen Ziegeln und der langsamen Stille der Geschichte, die sich in die Fliesen eingeprägt hatte. Aber ich blieb nicht auf dem berühmten Platz. Stattdessen ging ich die Gassen hinter dem Registan entlang, wo die Gebäude leicht geneigt sind und die Schatten sich asymmetrisch ausbreiten.
Ich verbrachte zwei Stunden damit, die Umrisse der Schatten nachzuzeichnen. Ich zeichne keine Objekte. Ich zeichne die Abwesenheit von Licht. Es gibt Türen, Rohre, hängende Wäsche und eine Taube, die sich leise bewegt. Der kühle Schatten auf meiner Hand, als ich mich an eine Lehmwand lehnte, fühlte sich realer an als der Glanz des Mosaiks. Ich benutzte Kohle und verwischte sie frei. Ich machte mir keine Gedanken über Details oder wie es aussehen würde, nur über den Rhythmus.
Ein Junge fuhr zweimal mit dem Fahrrad an mir vorbei. Bei der dritten Runde wurde er langsamer, schaute auf meinen Skizzenblock und nickte leicht, bevor er weiterfuhr. Das blieb mir im Gedächtnis.
Die Stille hier ist anders als die Stille in den Bergen. Sie ist wärmer und gedämpfter als leer. Es ist die Art von Stille, die Menschen erleben, die zu warten wissen. Ich habe nicht viele Fotos gemacht. Ich habe auch nicht viel gesagt. Meistens habe ich den Geräuschen der Schritte und dem Wind, der durch die Ziegel wehte, gelauscht.
Es ist schön, eine Pause von all dem Chaos zu machen. Ich habe meine Aufmerksamkeit wieder auf das Gefühl der Dinge, die Temperatur, die Ecke einer zerbrochenen Treppe gerichtet. Ich glaube, das habe ich heute gebraucht – nicht um mich zu wundern, sondern um mich geerdet zu fühlen.
Morgen werde ich vielleicht die Mosaikgräber besuchen. Aber jetzt lasse ich erst einmal das Gewicht von Staub und Kohle in meinen Fingern ruhen.