Fünfte Reise, Tag 146: Blätter, die sich weigerten, herunterzufallen
„Blätter, die sich weigerten zu fallen“ – Ruhiges Treiben über dem Ibar, wo Spannung und Strömung denselben Fluss nehmen.
Datum: 1. Oktober 2025
Ort: Mitrovica, Kosovo
In Mitrovica, Kosovo, durchzieht der Fluss Ibar das tägliche Leben und die Erinnerung. Brücken überspannen seine wechselnden Farben und tragen Menschen und ihre Pausen; Herbstnebel, eine leichte Brise und der Duft von Holzrauch legen sich über Stein und Wasser.
Der Fluss als Rückgrat
Heute Morgen bin ich in Mitrovica angekommen. Die Luft hier fühlt sich vielschichtig an. Jeder Atemzug scheint nicht nur Feuchtigkeit und Rauch mit sich zu bringen, sondern auch Erinnerungen. Der Fluss ist wie das Rückgrat der Stadt – er ist immer in Bewegung, aber auf eine ruhige Art und Weise. Als ich daran entlangging, bemerkte ich, wie unterschiedlich ich die Brücken empfand: Eine wirkte ernst und geradlinig, während eine andere eher entspannt wirkte, mit etwas kaputten Geländern, an denen sich die Menschen dennoch anlehnen konnten. Die Strömung des Flusses wechselte von graugrün zu braun. Er trug Äste, Müll und Licht mit sich. Er sprach an verschiedenen Stellen, als wolle er keinen vollständigen Gedanken bilden.
Zwischen Stimmen über dem Wasser
Ich kam an Männern vorbei, die in Gruppen auf der anderen Seite des Flusses saßen. Sie unterhielten sich leise. Auf derselben Seite des Flusses konnte ich Kinderstimmen hören. Zwischen diesen Geräuschen herrschte Stille. Es war eine Art Stille, die voller Spannung war, aber auch seltsam ruhig. Ich hörte weiter zu, nicht um Antworten zu finden, sondern um zu hören, wie sich die Luft anfühlt, wenn Dinge ungesagt bleiben.
Eine Bank, ein Wind und die verschwindenden Blätter
Ich blieb an einer Bank stehen, die zum Wasser hin ausgerichtet war. Der Metallsitz war noch kalt von der Nacht. Ein starker Wind hob die Blätter auf und trug sie für einen Moment über das Wasser, ließ sie dann aber wieder in den Fluss fallen. Ihnen beim Verschwinden zuzusehen, fühlte sich an, als würde man zusehen, wie Gedanken entschwinden, bevor man sie verstehen kann.
Raum für Spannung schaffen
Am Nachmittag war ich müde, aber nicht erschöpft. Stattdessen fühlte ich mich, als würde ich schweben – als hätte die Stadt für mich plötzlich angehalten. Bei diesem Spaziergang ging es nicht darum, ein Ziel zu erreichen oder etwas vollständig zu verstehen. Es ging darum, still neben etwas zu stehen, das keine klare Antwort hat. Während ich dies schreibe, denke ich an Farbe: wie sich Pigmentfarben überlagern können, ohne sich zu vermischen, wie Kanten ineinanderfließen, ohne sich gegenseitig zu löschen. So fühlte sich Mitrovica heute an – es war angespannt und fließend zugleich, als würde das Wasser sowohl Trägheit als auch Beharrlichkeit mit sich führen. Ich verlasse den Fluss mit diesem unvollendeten Gedanken, der mich noch immer beschäftigt.
Reiseberichte
- Wetter: Dichter Himmel; kühle Luft um 14 °C; eine leichte Brise weht über den Fluss; das Licht auf dem Wasser wechselt von graugrün zu braun.
- Gerüche: Holzrauch von den Morgenfeuern, feuchte Steine am Ufer, ein metallischer Geruch, der vom Fluss aufsteigt.
- Geräusche: Leise Gespräche von Gruppen von Männern auf der anderen Seite des Wassers, Kinderstimmen in der Nähe, Wind, der Blätter aufwirbelt, und eine vielschichtige Stille dazwischen.
- Reflexion: Der Tag barg einen unvollendeten Gedanken – wie Blätter, die sich erheben, zögern und zurückkehren – und lehrte mich, mit Spannung zu stehen, ohne sie zu einer Lösung zu zwingen.
Die Reise fortsetzen
Sie können auch bei einem weiteren Kosovo-Moment in Zweite Reise Tag 86: Arjeta Krasniqi (Prizren) verweilen, wo das Gespräch seinen eigenen Fluss hat.